Sklaverei und Handelsrouten (Slavery and Trade Routes)
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Wenn wir heute an Handel denken, sehen wir Containerschiffe, globale Märkte oder die Welthandelsorganisation in Genf vor uns. In der Vergangenheit stellen wir uns oft Gewürze, Seide oder Gold vor. Doch über Jahrhunderte hinweg wurde auch eine andere „Ware“ über die Routen des Mittelmeers transportiert: versklavte Menschen, die wie jedes andere Gut behandelt und gezwungen wurden, dieselben Wege zu gehen.
Entlang des Schwarzen Meeres verschifften genuesische und venezianische Händler Tausende von Gefangenen aus Häfen wie Caffa auf der Krim nach Konstantinopel, Alexandria oder Damaskus. Im 14. und 15. Jahrhundert brachten Karawanen jährlich bis zu 20.000 Versklavte über die Sahara nach Nordafrika und ins Mittelmeer. Auch Überfälle an den christlich-muslimischen Grenzen auf der Iberischen Halbinsel und in Sizilien speisten diesen Markt. Die Gefangenen stammten aus vielen Regionen: Slawen und andere Osteuropäer, Afrikaner über transsaharische Routen sowie Opfer von Kriegen oder Piraterie.
Die Schweiz selbst legalisierte die Sklaverei nie. Dennoch war sie eng mit dem, was Historiker*innen den „Black Atlantic“ nennen, verflochten. Schweizer*innen investierten in den Sklavenhandel; viele besassen Plantagen in der Karibik; Schweizer Söldner kämpften in französischen und niederländischen Kolonien gegen Sklavenaufstände; andere arbeiteten in Textilfabriken, die Baumwolle aus Plantagen verarbeiteten. Und wie alle Europäer*innen konsumierten auch die Schweizer*innen täglich Kaffee, Zucker, Tee, Tabak und viele andere Produkte, die durch Sklavenarbeit hergestellt wurden.
Heute ist vor allem der transatlantische Sklavenhandel bekannt – der gewaltsame Transport von Afrikaner*innen in die Amerikas zur Arbeit auf Plantagen. Doch Sklaverei war seit der Antike Teil der Geschichte des Mittelmeerraums, Europas, Afrikas und des Nahen Ostens und blieb es bis in die Neuzeit. Zwei Merkmale waren überall prägend: Versklavte wurden als Eigentum betrachtet und als Aussenseiter angesehen. Dennoch war Sklaverei nicht überall gleich. Das transatlantische System war einzigartig in seinem Ausmass und in seiner Bedeutung für den Aufstieg des europäischen Kapitalismus. Es war rassifiziert, beruhte auf der Vorstellung, dass Afrikaner*innen und ihre Nachkommen lebenslang versklavt werden konnten, und dass dieser Status an ihre Kinder weitervererbt wurde. Dies legte den Grundstein für den modernen Rassismus.
Auch der arabisch-afrikanische Sklavenhandel und verschiedene innerafrikanische Systeme waren ökonomische Strukturen, die zu Ausgrenzung und Entmenschlichung führten. Sie sind weniger gut erforscht, doch Historiker*innen haben einen wichtigen Unterschied herausgestellt: die Möglichkeit sozialer Mobilität. In Teilen Afrikas und der islamischen Welt konnten Versklavte manchmal ihre Freiheit erlangen, und einige stiegen sogar zu Machtpositionen auf – wie die Mamluken in Ägypten oder Schadschar ad-Durr, eine ehemalige Sklavin, die im 13. Jahrhundert als erste und einzige Frau zur Sultanin von Ägypten wurde.
Heute erscheint es unvorstellbar, dass Sklaverei einmal ein normaler Teil des Handels war. Sich an diese Geschichte zu erinnern, hilft uns, die Würde des Menschen zu schätzen und zu erkennen, wie undenkbar es heute ist, Leben als Ware zu betrachten. Das Sklaverei-Übereinkommen des Völkerbundes von 1926 – vor fast 100 Jahren in Genf unterzeichnet – war ein Meilenstein auf dem Weg zu einem globalen Konsens über die Abschaffung dieses Unrechts.
Switzerland itself never legalized slavery. Yet it was deeply connected to what historians call the “Black Atlantic.” Swiss investors financed the slave trade; many owned plantations in the Caribbean; Swiss mercenaries fought against slave rebellions in French and Dutch colonies; others worked in textile factories that processed raw cotton from slave plantations. And, like all Europeans, the Swiss came to consume coffee, sugar, tea, tobacco, and many other goods produced by enslaved labor on a daily basis.
While the transatlantic slave trade—the forced transport of people from Africa to the Americas—is the most widely known today, slavery was part of Mediterranean, European, African, and Middle Eastern history since Antiquity and remained so into the modern period. Across these different contexts, two features stand out: enslaved people were treated as property, and they were seen as outsiders. Yet slavery took different forms. The transatlantic system was unique in its scale and in its role in the rise of European capitalism. It was racialized, built on the idea that Africans and their descendants could be enslaved for life, with this status passed on to their children. This became foundational for modern racism.
The Arab–African slave trade and the various inner-African trades were also economic systems that created forms of dehumanization. They are less well studied, but historians have noted a key difference: the possibility of social mobility. In parts of Africa and the Islamic world, enslaved people could sometimes obtain freedom, and a few even rose to positions of power—such as the Mamluks in Egypt or Shajar al-Durr, a former slave who became the first and only woman sultana of Egypt in the 13th century.
Today, it is shocking to imagine slavery as a normal part of trade. Remembering this history helps us value human dignity and understand how unthinkable it is now to consider human lives as merchandise. The League of Nations’ 1926 Slavery Convention—signed in Geneva almost 100 years ago—was a milestone on the way to a global consensus in abolishing this injustice.
