Sufi-Netzwerke (Sufi networks)

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Sufismus wird gewöhnlich mit “islamische Mystik” übersetzt. Der Begriff „Mystik“ wird unter Religionswissenschaftlern jedoch viel diskutiert. Zwei Merkmale zeichnen den Sufismus besonders aus: Einerseits seine Vielzahl an Überzeugungen und Praktiken, die die Immanenz (oder Nähe) Gottes gegenüber seiner Transzendenz (d. h. seiner Unterscheidbarkeit von allem anderen) betonen. Andererseits die Kultivierung persönlicher Erfahrungswerte über Gott (was sich in der Regel in der Verwendung sensorischer Sprache wie dhawq oder „Geschmack“ widerspiegelt). Mit anderen Worten: Zusätzlich zu den üblichen religiösen Praktiken wie Gebet, Fasten und Lesen oder das Rezitieren des Korans versuchen Sufis, durch Andachtspraktiken wie dhikr (wörtlich „Erinnerung”), in der Regel durch das Rezitieren bestimmter Litaneien (Singular: wird, Plural: awrād), einen Zustand der Vertrautheit mit Gott zu entwickeln. Obschon die Ursprünge des Sufismus viel diskutiert werden, besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass das Wort von ṣūf  (Arabisch für Wolle) stammt, da frühe Praktizierende aus Gründen der Demut mit dem Tragen von Wollkleidung in Verbindung gebracht wurden. Frühe Quellen berichten viel über die Interaktion der frühen Sufis mit christlichen Mönchen, an denen sie sich offenbar in ihrem Verhalten stark orientierten (obwohl die Ehe normalerweise dem Zölibat vorgezogen wurde). Es wird angenommen, dass der Sufismus irgendwann im späten zweiten/achten Jahrhundert im Irak aus pietistischen Kreisen entstanden ist, die asketisches Verhalten praktizierten. Bis der erste Sufi-Orden (Singular: ṭarīqa, Plural: ṭuruq) entstand, dauerte es einige Jahrhunde. Der Qādirī-Orden basiert auf den Lehren des in Bagdad lebenden Gelehrten und Heiligen ʿAbd al-Qādir al-Jīlānī (gest. 561/1166). Er gilt allgemein als der erste Orden und entwickelte sich schliesslich zu einem der am weitesten verbreiteten. Zu den weiteren bedeutenden Orden zählt der Naqshbandī-Orden, der mit Bahāʾ al-Dīn Naqshband (gest. 791/1389) in Verbindung steht. Dieser war mit der Stadt Buchara (im heutigen Usbekistan) verbunden, aber sein Orden verbreitete sich sehr breit, insbesondere im osmanischen Kontext. Im 12./18. Jahrhundert spielte der Orden in so unterschiedlichen Regionen wie Süd- und Zentralasien, Anatolien, dem Kaukasus und der Levante eine wichtige Rolle. In einigen Fällen diente die Grabstätte des angenommenen Ordensgründers als Mittelpunkt organisatorischer Aktivitäten, was jedoch niemals bedeutete, dass Sufi-Netzwerke sich nicht geografisch weiter ausbreiten würde. Um das 8./14. Jahrhundert hatten der Sufismus und seine Orden die religiöse Frömmigkeit weitgehend monopolisiert, sodass religiöse Hingabe und die Mitgliedschaft in einem Sufi-Orden fast gleichbedeutend waren. Dies war innerhalb der Gesellschaften durchaus umstritten, aber heute ist gut erforscht, wie sich dieser Prozess an bestimmten Orten vollzogen hat. Lange vor dem 13./19. Jahrhundert waren Sufi-Orden die „transnationalsten” muslimischen Organisationen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Sufi-Netzwerke eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung des Widerstands gegen den europäischen Imperialismus in allen Teilen der muslimischen Welt spielten. Obwohl Sufi-Orden im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte durch die Kritik von Modernisten und verschiedenen Arten von Erweckungsbewegungen zum Teil in ein schlechtes Licht gerückt wurden, sind Sufi-Netzwerke auch heute noch wichtig und werden in der religiösen und intellektuellen Zukunft der muslimischen Welt sicherlich eine Schlüsselrolle spielen. 

Sufism is usually referred to as Islamic mysticism. “Mysticism” is a category much debated by scholars of religion. One common understanding is that it refers to a set of beliefs and practices that emphasise Divine immanence (or closeness) over transcendence (i.e. God’s distinctness from everything else), along with cultivating personal experiential knowledge of God (usually reflected in the use of sensory language such as dhawq or “taste”). In other words, Sufis try to develop a state of intimacy with God through devotional practices like dhikr (lit. “remembrance”), usually though the recitation of particular litanies (sing. wird, pl. awrād), in addition to the usual religious observances of prayer, fasting and reading or recitation of the Qurʾān. Though the origins of Sufism are much debated, there is general agreement that the word comes from ṣūf or wool, as early practitioners were associated with the wearing of wool garments for reasons of humility. The early sources speak much of the interaction of early Sufis with Christian monks, on whom they seem to have modelled much of their behaviour (though Sufis normally preferred marriage to celibacy). Sufism seems to have emerged in Iraq sometime in the late second/eighth century from pietistic circles who practiced ascetic behaviour. It took some centuries for the first Sufi order (sing. ṭarīqa, pl. ṭuruq) to emerge. The Qādirī order, based on the teachings of the Baghdad-based scholar-saint ʿAbd al-Qādir al-Jīlānī (d. 561/1166), is usually considered to be the first, and it would eventually become one of the most widespread. Other major orders include the Naqshbandī order, associated with Bahāʾ al-Dīn Naqshband (d. 791/1389). Bahāʾ al-Dīn Naqshband was connected to the city of Bukhara (in today’s Uzbekistan), but his order spread far and wide, particularly in the Ottoman context. By the twelfth/eighteenth century, the order figured very prominently in such diverse regions as South and Central Asia, Anatolia, the Caucasus and the Levant. Sometimes, the tomb complex of the purported founder of the order served as the focal point of organisational activities, but this never imposed a limit on the spread of the geographical reach of Sufi networks. By about the eighth/fourteenth century, Sufism and its orders had largely come to monopolise religious piety, such that religious devotion and membership in a Sufi order were almost synonymous. This was a very contested process, but we have good contextual studies of how it unfolded in particular places. Long before the thirteenth/nineteenth century, Sufi orders were the most ‘transnational’ of Muslim organisations, and it is no surprise that Sufi networks played a key role in mobilising resistance to European imperialism in every part of the Muslim world. Though the reputation of the Sufi orders has been somewhat tarnished over the course of the last century and a half by the critiques of modernists and various kinds of revivalist movements, Sufi networks remain important today and are sure to play a key role in the religious and intellectual future of the Muslim world.